Eine gesellschaftsrechtliche Anmerkung zu den aktuellen Entwicklungen rund um die Besetzung des Kettenhofwegs 130
Angesichts der derzeitigen juristischen Auseinandersetzung um das besetzte Haus im Kettenhofweg 130 – das Institut für vergleichende Irrelevanz (kurz: IvI) –, äußert sich der arbeitskreis kritischer jurist_innen (akj). Der akj hält insbesondere die juristische Position des Landgerichts Frankfurt am Main und von Franconofurt für fehlerhaft.
Der akj erklärt:
„Franconofurt versucht derzeit mit juristischen Mitteln gegen das Institut für vergleichende Irrelevanz (IvI) vorzugehen, statt auf politischem Weg eine Lösung zu finden. Doch auch der Kampf vor den Gerichten wirft einige Fragen auf. Die ständige Rechtsprechung fordert für Bescheide gegen Hausbesetzungsgruppierungen eine rechtsstaatlich bestimmte Adressierung (OLG Köln, Beschluß vom 18-08-1981 – 3 W 24/81 in NJW 1982, 1888 ). Bei Räumungsanträgen muss beispielsweise der Name der BesetzerInnen im Bescheid des Gerichtes genannt werden (§§ 130 Nr.750 ZPO). Zuletzt wurde die Räumung des Hausprojektes Liebig14 in Berlin im Nachgang als rechtswidrig seitens der Gerichte beanstandet (siehe die Dokumentation auf liebig14.blogsport.de).
Franconofurt und das Landgericht Frankfurt am Main haben jetzt einen juristisch zweifelhaften Weg gewählt, um eine gerichtliche Zustellung von Bescheiden zu gewährleisten. Die Zustellung erfolgte an eine „Gesellschaft bürgerlichen Rechts Institut für vergleichende Irrelevanz“. Im Zustellungsbescheid wurde die Durchführung weiterer inhaltlicher Veranstaltungen im IvI unter Strafe gestellt. Die Adressierung an eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist vor diesem Sachzusammenhang aus der Sicht des arbeitskreis kritischer jurist_innen (akj) mit der juristischen Dogmatik des Gesellschaftsrechts nicht vereinbar.
Zudem ist die Zustellung, selbst wenn man das IvI als GbR ansehe, nach wie vor fehlerhaft. Denn im Gesellschaftsrecht muss an eine GbR eine Zustellung an mindestens eine_n konkret benannte_n Gesellschafter_in erfolgen (§714 BGB). Dies war im Falle des Schreibens des Landgerichts nicht der Fall – Kein Wunder, denn Personalien der Besetzer_innen sind Franconofurt und dem Gericht nachwievor nicht bekannt.
Wie dem von uns erstellten Gutachten (siehe Anhang) zu entnehmen ist, widerspricht dieses Vorgehen Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts. Der Vorwurf von Franconufurt-Vorstand Christian Wolf, die BesetzerInnen würden ihrerseits mit der Besetzung des Kettenhofwegs 130 das Recht brechen – geht hingegen an der Realität vorbei. Die Rechtsprechung hat für langjährige Besetzungen von Häusern umfangreiche Rechtsschutzinstrumente entwickelt, wie das Recht auf Wohnen und ein Hausrecht.
Auf solcher Grundlage lässt sich kein geordnetes Verfahren führen – erst Recht vor dem Umstand das konkret benennbare Gesellschafter_innen weit und breit nicht zu finden sind, entspricht das der Umgehung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze mittels gesellschaftsrechtlicher Konstruktionen.“
Anhang: Gutachten „Ist das IvI eine GbR?“
I. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts iSv § 705 BGB setzt einen Zusammenschluss mehrerer Personen zur gemeinsamen Zweckverfolgung auf Grundlage eines Gesellschaftsvertrags voraus.
1. Zusammenschluss mehrerer Personen / Gesellschafter
Bei einer GbR schließen sich Personen zur gemeinsamen Zweckverfolgung zusammen. Die GbR zeichnet sich gerade durch ihre Gesellschafter und ihre persönlichen Beiträge aus. Der/die einzelne Gesellschafter_in haftet gesamtschuldnerisch und unmittelbar mit ihrem/seinem Privatvermögen für die Aktivitäten der GbR. Daher wird von einem engen Vertrauensverhältnis zwischen den Gesellschafter_innen ausgegangen. Dieses besondere Vertrauensverhältnis und die Personen der Gesellschafter_innen prägen den (personenbezogenen) Charakter einer Personengesellschaft.
In Bezug auf das ivi ist bereits unklar, wer die sich zusammenschließenden Personen sein sollen. Das ivi wird von einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen auf unterschiedlicher Weise und verschieden intensiv genutzt. Viele Nutzer_innen kennen sich unter einander nicht. Entscheidungen werden auf dem ivi-Plenum demokratisch getroffen, das ivi Plenum steht grundsätzlich allen Menschen offen, sodass bei jedem Plenum unterschiedliche Menschen anwesend und an Entscheidungen beteiligt sind. Auch die beim Plenum Anwesenden kennen sich untereinander nicht immer. Von einem persönlichen Vertrauensverhältnis und individuellen Beiträgen, die die Grundlage einer ivi-GbR bilden müssten, kann daher nicht ausgegangen werden.
2. Gesellschaftsvertrag
Ein Gesellschaftsvertrag setzt die Willenserklärungen aller Gesellschafter_innen voraus. Ein Gesellschaftsvertrag kann auch konkludent geschlossen werden. Jedenfalls muss ein Rechtsbindungswille erkennbar sein. Aufgrund der fluiden dynamischen Nutzungs- und Beteiligungsstrukturen kann von einem Rechtsbindungswillen bei den Nutzer_innen des ivi’s nicht ausgegangen werden. Einen solchen Rechtsbindungswillen zu unterstellen, wäre stark konstruiert und würde eine lebensferne Auslegung darstellen.
3. Verpflichtung zu Beiträgen
Aus dem Gesellschaftsvertrag muss die Vereinbarung von Beiträgen, die die Gesellschafter zur gemeinsamen Zweckverfolgung leisten müssen, hervorgehen. Die Zweckverfolgung könnte vorliegend die Besetzung des ivi’s sein. Doch geht es den Nutzer_innen nicht primär um die Besetzung des ivi’s, sondern um die Schaffung und Gestaltung eines gemeinsamen gesellschaftlichen Freiraums/Kulturraums. Selbst wenn man dies als gemeinsamen Zweck annehmen würde, wäre unklar, wer sich zu welchem Beitrag (konkludent) verpflichtet hat. Die Beiteiligung am Projekt ivi ist rein freiwillig, ein „einklagbarer“ Anspruch auf Leistung der Beiträge gegen die einzelnen Nuter_innen besteht nicht. Es besteht keine Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen.
II. Insgesamt erfüllt das ivi oder die Nutzer_innen des ivi’s kein Merkmal einer GbR iSv § 705 BGB. Eine Annahme, das ivi sei eine GbR ist daher insgesamt als lebensferne Auslegung zu beurteilen, die die tatsächlichen Umständen konsequent ausblendet.