Kunst – Erkenntnis – Problem Möglichkeiten emanzipatorischer Kunst heute

kep

Kunst – Erkenntnis – Problem
Möglichkeiten emanzipatorischer Kunst heute

22.-24. Juni 2012, Institut für vergleichende Irrelevanz, Frankfurt am Main

„In einer Welt, in der das Kapital mit voller Wucht in allen Ländern einschlägt, die Städte verwüstet und die Menschen ins Elend wirft“: Wo und wie steht die Kunst dazu? Ist die Kunst ein bloßer Luxus, ein idyllischer, versöhnender Ort der Weltflucht, oder wird in ihr nicht auch die Verlorenheit, Knechtung und Armut der Menschen, wie auch ihre Sehnsucht nach Glück in vorzüglicher Weise kenntlich? Birgt sie nicht ein gerade auch für emanzipatorische Praxis unerlässliches Erkenntnispotential?
Wir meinen, dass das letztere der Fall, auch wenn es durch die herrschenden Zugangsformen zur Kunst wie durch ihre eigene Form oft gerade verhindert wird. Meist werden in emanzipatorischer Praxis lediglich politische Forderungen und theoretische Analysen verfolgt. Aber das reicht nicht: Kunst darf in emanzipatorischer Praxis nicht fehlen.
Durch die Kunst ist eine spezifische Erkenntnis möglich, in die wir unmittelbar mit unserem praktischem Selbstverständnis involviert sind, in der wir unmittelbar Gefühl, Denken und Handeln von uns selbst her sinnlich gegenständlich durchleben können. In der ästhetischen Auseinandersetzung der Menschen mit ihren Erfahrungen innerhalb ihrer Verhältnisse kann die Kunst uns Entfremdung gegenständlich, bewusst und erkennbar machen. Im Produzieren und Rezipieren von Kunst können wir subjektive Entfremdung temporär überwinden, wir können erfahren, wie ein befreites Dasein beschaffen sein könnte.
Während die Kulturindustrie und die integrierte Hochkultur, die, tendenziell um ihren kritischen Gehalt gebracht, von der Kulturindustrie kaum noch zu unterscheiden ist, ideologische Perspektiven und Handlungsmuster herausbilden und sie an die aktuellen gesellschaftlichen Erfordernisse anpassen, kann emanzipatorische Kunst diese reflexiv außer Kraft setzen und transformieren helfen.

Diese Überlegungen werfen viele Fragen auf. Daher möchten wir in der Tagung gesellschaftskritische Kunsttheorie und künstlerische Praxis in einen produktiven Dialog treten lassen, um den Sinn progressiver politischer Praxis innerhalb der Kunst auszuloten und die Möglichkeiten emanzipatorischer Kunst heute zu diskutieren.

Über ein ganzes Wochenende werden künstlerische, politische und wissenschaftliche Praxen an einem Platz zusammen arbeiten, einander ihre Perspektiven zeigen, streiten, sich ergänzen. Die Kunst wird uns vergnügen, uns aber auch Dinge sehen lassen und Fragen wecken. Theorievorträge geben Denkmaterial und schaffen Raum, die Kunsterlebnisse in ein gemeinsames Gespräch überzuführen. Lyrik, Theater, Musik und Film soll es an den Abenden geben, ein Raum mit Installationen, Skulpturen und Bildern steht ständig dem sinnlichen Genuss offen.
Abseits der Vorträge wird viel Zeit sein, bei einem Kaffee oder einem Bier das Gehörte und Gesehene in kleineren Kreisen nachwirken zu lassen und weiterzuspinnen. Überall im IvI werden an den drei Tagen erkenntnisreiche Gespräche stattfinden und die unterschiedlichsten Menschen miteinander Neues zur Kunst entwickeln.
Zentral jedoch wird die Frage sein, wo der Punkt ist, an dem das Vergnügen an der Kunst und das theoretische Interesse an ihr politisch wird. Der schwierige Punkt, welche politische Aufgabe Kunst heute haben kann, und wie man die Frage nach dem emanzipatorischen Sinn von Kunst überhaupt stellen muss.
All dies zusammen kann und soll zu einem pulsierenden Gemisch mit Elementen ganz unterschiedlicher Reaktionsweise werden, aus dem heraus neue Arbeitszusammenhänge, viele neue und gute Fragen, und vielleicht sogar die konkrete Idee dessen, worum es politisch und gesellschaftlich in der Kunst gehen muss, entstehen können.

In die Tagung einleiten soll eine Diagnose zeitgenössischer Positionen innerhalb der Kunst. Referenten aus Literatur, Musik, Theater, Film sowie bildender Kunst sollen den gegenwärtigen Stand auf die Möglichkeit einer progressiven Weiterführung hin reflektieren. Eine analytische Basis für unsere Diskussion soll ein Podium zur Formanalyse von bürgerlicher Kunst im Allgemeinen und ein zweites zur Soziologie des Kunstbetriebs bieten. Ersteres Podium soll die Herrschaft der Form über ihren Inhalt in der Kunst und die Bedingtheit dieser Form durch die bürgerliche Gesellschaft analysieren, in letzterem geht es um die Ausschlussmechanismen, die kulturindustrielle Struktur und die Ökonomie des Kunstbetriebs. Vorträge zur Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorie sollen, ausgehend vom Subjekt in entfremdeter gesellschaftlicher Praxis, die Bedeutung von Sinnlichkeit, Deutung und Erkenntnis in der Kunst diskutieren. Zuletzt wollen wir uns über die Bedeutung von Kunst in gesellschaftlicher Emanzipation unterhalten, einerseits über die Überlegungen der Avantgarde-Bewegungen hierzu, andererseits über Kunst als Ausgangspunkt für eine allgemeine Kulturkritik des Kapitalismus und für kulturrevolutionäre Bestrebungen. Den Abschluss soll die Diskussion über eine emanzipatorische Weiterentwicklung von Kunst machen, dies geschieht unter Bezug auf das Realismuskonzept.
Darüber hinaus bieten open spaces Raum für offene Diskussionsrunden und freie Workshops aus dem Themenbereich der Tagung.

Die Tagung ist weder eine akademische Veranstaltung noch ein Event und soll so antispektakulär wie möglich sein. Es geht weder um die Präsentation von Modeintellektuellen noch um Karriereoptionen. Inhalt der Tagung soll die Sache sein. Wir freuen uns auf ein vielfältiges Besucherspektrum aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen.
Die Tagung findet im IvI (Institut für vergleichende Irrelevanz) in Frankfurt am Main statt. Ein Ort, der uns wie geschaffen für unser Vorhaben erscheint, ist er doch, aufgrund seiner strukturellen Offenheit, ein deutschlandweit wohl einzigartiges, autonom verwaltetes Zentrum für Politik, Theorie und Kultur, und ausgezeichnet durch einen radikalen politischen Anspruch jenseits traditionslinker Ideologien und durch eine nicht nur auf die Universität, sondern auf die gesamte Stadt hin gerichtete Orientierung und Zusammensetzung seiner Nutzer. Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben. Für Verpflegung ist gesorgt, wir bitten jedoch aus logistischen Gründen um eine vorherige Anmeldung der Teilnehmer.
Kunst – Erkenntnis – Problem
Möglichkeiten emanzipatorischer Kunst heute
Tagung 22.-24. Juni 2012
Institut für vergleichende Irrelevanz

Während der Tagung ist im Atelier des IvI die Ausstellung “This is all you are” geöffnet.
Kuration: Jennifer Gelardo, Lena Trüper (Frankfurt am Main)

Komplettes Tagungsprogramm

Tagungsprogramm Freitag, 22. 06. 2012

13:00 Uhr:
Begrüßung und thematische Einführung
Paul Stephan, Emanuel Kapfinger

14:00-17:30 Uhr:
Podium zum Stand der Kunst heute: Formtendenzen der Gegenwartskunst und Möglichkeit des Fortschritts in der Kunst heute

Eröffnung der Fragestellung des Podiums
Emanuel Kapfinger (Frankfurt am Main)

1. Tanz, Neue Musik, Lyrik

Tanz: Steve Valk (Frankfurt am Main)
Neue Musik: Robin Hoffmann (Frankfurt am Main)
Lyrik: Malte Kleinjung (Frankfurt am Main)

im Anschluss: Diskussion

2. Film, Theater

Film: Christoph Hesse (Berlin)
Theater: Andreas Engelmann (Frankfurt am Main)

im Anschluss: Diskussion

3. Design

Design: Jörg Stürzebecher (Frankfurt am Main)

im Anschluss: Diskussion

18:00 Uhr:
Open space I: Workshops

20:00 Uhr: Abendessen

21:00 Uhr:
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (Brecht/Weill)
Brechts Theatertheorie und -kritik, Auszüge aus Mahagonny und Kommentierung der Auszüge
Michael Friedrichs (Augsburg)

im Anschluss: Chill-Area (Eigenleben)

Tagungsprogramm Samstag, 23. 06. 2012

10:00-12:00 Uhr:
Formanalyse und Widersprüche der bürgerlichen Kunst

Aufhebung der Kunst
Robert (Leipzig)

Zur Kritik der bürgerlichen Kunst (vorläufiger Titel)
Martin Dornis (Leipzig)

12:00 Uhr: Mittagessen

13:15-15:00 Uhr:
Kritische Soziologie des Kunstbetriebs
Rosa Perutz (Berlin)

15:30-17:30 Uhr:
Erkenntnis und Wahrnehmung in der Kunst

Kritik des Sehens. Die Kunst der Blindheit und das Spektakel der Wahrnehmung.
Felix Trautmann (Frankfurt am Main)

„Mit den Ohren denken“. Adornos Philosophie der Musik (vorläufiger Titel)
Thomas Zöller (Frankfurt am Main)

18:00 Uhr:
Open space II: Workshops

20 Uhr: Abendessen

21:00 Uhr:
Theaterperformance

im Anschluss: Chill-Area (Robert)